VON ANNETTE LÜBBERS
Reporterin
28. NOVEMBER 2022

Mobilitätswende

Kommune zahlt Prämien für abgeschaffte Autos

Jahrzehnte lang lautete die Devise: Vorfahrt für Autos.
Eine Kommune in Baden-Württemberg hat nun die
Wende eingeleitet. Sie fördert den Verzicht aufs Auto,

unterstützt Car-Sharing und plant einen Radschnellweg.
Die Stadt bezahlt sogar eine Auto-Abschaff-Prämie.
Projekte, die eine echte Mobilitätswende einläuten
sollen.

„Die Liebe zum Auto ist bei den Deutschen anscheinend
ungebrochen, weil damit ein Stück vermeintlicher Freiheit verbunden
ist“, sagt der Bürgermeister. Aufgeben will er dennoch nicht. „Der
Gemeinderat und ich setzen auch weiterhin darauf, durch Anreize zu
überzeugen. Verbote, davon bin ich überzeugt, helfen noch weniger.“
Und die Kommunalpolitiker ließen sich so einiges einfallen: Wer in
der Stadt mit knapp 14.000 Einwohnern seinen PKW abschafft,
erhält von der Kommune als „Autofrei-Prämie“ einen Gutschein im
Wert von 500 Euro, sofern sie sich für mindestens drei Jahre keinen
neuen Verbrenner zulegt. Doch es gibt noch mehr Angebote für die
Bürger, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern.

Denzlingen im Landkreis Emmendingen ist ein wichtiger Drehkreuz
von Bus und Bahn. Die nächstgelegene Großstadt Freiburg im
Breisgau, zehn Kilometer südlich des Ortes, wird im 15-Minuten-Takt
angefahren. 120 Züge stoppen täglich am Denzlinger Bahnhof.
Trotzdem sind in der Gemeinde 11.500 PKWs angemeldet. Zu viele
findet Bürgermeister Markus Hollemann und forciert den Umstieg
auf den Öffentlichen Nahverkehr und aufs Fahrrad. Damit die
Bürgerschaft Geschmack an emissionsarmer Bewegung findet,
lässt sich die Stadt einiges einfallen.

Mobilität der Zukunft: kommunale Autofrei-Prämie

Wer sich in Denzlingen dazu entschieden hat, das Auto
abzuschaffen, bekommt einen Gutschein von 500 Euro als Autofrei-
Prämie“ und entscheidet selbst, wie er oder sie den Gutschein
einlöst:
• Zuschuss zu einer Jahres-Regio-Karte des Öffentlichen
Nahverkehrs.
• Vollständige Kostenübernahme der BahnCard 50 für ein Jahr.
• Zuschuss zum Kauf eines E-Bikes oder, falls nötig, die
Umrüstung eines vorhandenen Bikes.
• Gutschein für Gewerbe, Einzelhandel und Gastronomie zur
Unterstützung des heimischen Wirtschaftsnetzwerk –
allerdings ist dieser Gutschein auf 200 Euro begrenzt.

Car-Sharing-Angebote werden unterstützt

Alle, die auf Car-Sharing setzen, werden dafür belohnt: Die
Anmeldegebühr für die Teilnahme wird bis zu einer Höhe von 60
Euro ebenfalls von der Kommune übernommen. Damit das Angebot
attraktiver wird, hat sich die Kommunalverwaltung selbst dafür
eingesetzt, dass die beiden Anbieter mehr Stellplätze zur Verfügung
gestellt bekommen, damit sie mehrere Fahrzeuge vorhalten kann.
Immerhin 3.000 bis 4.500 Kilometer sind die Fahrzeuge im
vergangenen Jahr unterwegs gewesen. „Als Kommune hoffen wir,
dass wir damit mehr und mehr Menschen dazu bewegen können,
zunächst einmal die Zweit- und Drittautos abzuschaffen. Wir können
unsere Klimaziele nur erreichen, wenn sich mehr Bürgerinnen und
Bürger dafür entscheiden, diese Ziele auch aktiv zu unterstützen“,
unterstreicht Markus Hollemann.

Ein weiterer Baustein: ein Radschnellweg

Bereits seit drei Jahren laufen die Planungen für einen
Radschnellweg, der auf 21 Kilometern von der Stadtgrenze
Freiburgs über Denzlingen bis nach Emmendingen und Waldkirch
führen soll. Auf der direkten, gradlinigen Trassenführung soll genug
Platz sein, damit schnellere Radlerinnen und Radler langsamere
Weggefährten problemlos überholen können. Das
Nutzungspotenzial wurde mit 2.000 Fahrten pro Tag prognostiziert.
„Die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Radschnellweg begann im
Herbst 2020. Nach einer Auftaktveranstaltung im Dezember 2020
hatten interessierte Bürgerinnen und Bürger sechs Wochen lang die
Möglichkeit, Hinweise zur Planung der Trasse auf einer interaktiven
Karte im Internet einzutragen“, heißt es im Portal „RadKULTUR
Baden-Württemberg“. Hier sind die Einzelheiten des Projektes
nachzulesen. Einziger Wermutstropfen: Baubeginn ist erst 2018.
Immerhin: Die Finanzierung steht. Bürgermeister Markus
Hollemann: „Die Kosten für den Radschnellweg hat das Land Baden-
Württemberg übernommen. Das Land fördert nur solche Strecken,
die laut Gutachten eine gute Nutzung versprechen. Letztendlich
werden aber auch hier die Bürgerinnen und Bürger darüber
entscheiden, ob das Projekt ein Erfolg wird.“

E-Mobilität: keine Förderung in Denzlingen

Den Umstieg von Verbrennern auf E-Autos unterstützt die Gemeinde
dagegen nicht. Der Grund dafür liegt für Markus Hollemann auf der
Hand: „Für mich liegt die Zukunft der Mobilität in einem Mix aus
selbstfahrendem, öffentlichem Nahverkehr, Fahrradnutzung für
Kurzstrecken sowie Ruf- und Sammeltaxis.“ Allerdings unterstützt
die Kommune die Anschaffung von E-Lastenrädern und E-
Lastenanhängern: auch dafür stehen den Bürgerinnen und Bürger
bis zu 500 Euro zur Verfügung.

Mobilitätswende – jetzt?

Mit einem schnellen Durchbruch in der Mobilitätswende in
Deutschland rechnet der Bürgermeister nicht: „Die Bürokratie in
diesem Land ist nicht nur in diesem Bereich eine Katastrophe. Wir
müssen wieder mehr gesunden Menschenverstand walten lassen.
Zudem brauchen Bürgerschaft und Kommunen – als Treiber des
Wandels – deutlich mehr Entscheidungsfreiheit und auch deutlich
mehr Geld. Schließlich kennen wir die Verhältnisse vor Ort am
Besten.“ Es könne nicht sein, sagt er, dass Bund und Land Gelder
erst einziehen und dann dirigistisch wieder umverteilen.

Bericht von Annette Lübbers

Veröffentlicht am 28.11.2022 in KOMMUNAL.

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